Kreativität - das Zeichnet Uns Menschen aus
Anne-Mie van Kerckhoven über Computerkunst, ihre Ausstellung im Kunstverein und über künstliche Intelligenz
interview by Daniel A. Schacht.
published on 28 Apr 2017 in Hannoverschen Allgemeine Zeitung
Sie sind Pionierin der Computerkunst, Sie haben schon vor 40 Jahren damit experimentiert. Nähert sich die künstliche Intelligenz der Rechenknechte inzwischen menschlicher Intelligenz?
Wer über künstliche Intelligenz spricht, steht stets vor dem Problem zu definieren, wovon genau die Rede ist. In den Medien gibt es haufenweise hysterische Statements dazu, wilde Visionen davon, wie künstliche Intelligenz unser Leben bestimmt und wir zu Befehlsempfängern von Maschinen werden. Tatsächlich ist unser Leben längst von kleinen Helferlein durchdrungen, gleich ob wir im Internet bestellen oder an einer Ampel warten. Aber künstliche Intelligenz ist nicht dasselbe wie Kybernetik. Da ist also bloße Steuerungstechnik zu unterscheiden von Ansätzen zum Sprachverstehen, die künstliche Intelligenz ausmachen könnten.
Steckt also hinter den Hoffnungen auf echte Intelligenz ein Missverständnis über das Wesen menschlicher Intelligenz?
Klar, Computer sind keine menschlichen Wesen. Wenn man da von Intelligenz spricht, heißt das nur, dass Computer mehr hervorbringen können als man in sie hineingesteckt hat. Statt artificial intelligence sollte man ihnen vielleicht eher so etwas wie artificial life zubilligen. Denn Intelligenz, Kreativität, Schöpfungsvermögen – all das zeichnet allein uns als Menschen aus, und das kann man nicht in eine Maschine stecken. Die Fähigkeit zu subjektiven und nicht systematischen Entscheidungen, so etwas haben Computer nun mal nicht.
Wer die Ausstellung Ihrer radikal subjektiven Werke im Kunstverein erlebt, spürt, dass Sie nicht an eine Befreiung der Menschheit durch Computer glauben ...
Nein, sie sind nur ein Werkzeug. Computer sind nicht vom Himmel gefallen, sie sind menschengemacht. Andererseits sind wir immer mehr auf solche Instrumente angewiesen, weil sich unser immer komplexer werdendes Leben damit besser organisieren lässt. In diesem Sinne sind sie ein Überlebensmechanismus.
Aber die Kluft zwischen menschlicher Intelligenz und artifiziellem Leben wird bleiben.
Gewiss. Aber mir gefällt, ehrlich gesagt, die heutige Welt mehr als etwa die der Fünfziger- oder Sechzigerjahre. Da war so vieles unklar, gefiltert, verlogen, da gab es so viele Regeln, Lügen, Unaufgeklärtheiten, die die tatsächlichen Unrechtsverhältnisse bemäntelten. Im Vergleich dazu ist die Gesellschaft heute sehr viel offener und transparenter, wozu auch die Digitalisierung beigetragen hat.
Kann die nicht auch zum Gegenteil der Emanzipation führen?
Die vertrackte Sache ist, dass sie bislang stets zur Unterdrückung genutzt wurde. Der erste Zweck von Computern war die Dekodierung feindlicher Geheimbotschaften – für den Krieg. Aber ich denke nur, sie können auch der Emanzipation nützen – und das in noch viel größerem Maße als bisher.
Sie haben Media Art produziert, als es das Wort noch nicht gab – und nun gibt es zu Ihrer Ausstellung eine Zeitung. Welche Funktion hat das alte Medium für eine Pionierin der neuen Medien?
Eine Zeitung ist die am besten geeignete Form, um so viel zu einer Retrospektive zu sagen, die einen Zeitraum von fast 40 Jahren umfasst, wie eben jetzt diese im Kunstverein.
Medien aus der Gutenberg-Ära gehören also bei einer Multime- diakunst-Präsentation weiterhin dazu?
Für mich jedenfalls. Schließlich habe ich schon seit meinen ersten Kunstpräsentationen Booklets, Zeitungen oder andere schriftliche Formen genutzt, um die Ausstellungsobjekte zu erläutern. Das war für mich immer normal, Ausstellungen mit Publikationen zu begleiten.
Weil das erst das Gesamtkunstwerk ausmacht – und Sie damit eine Gesamtkünstlerin sind?
Danke, das ist ein Etikett, das ganz gut zu mir passt.
Zur Person
Anne-Mie van Kerckhoven, Jahrgang 1951, hat nach dem Kunststudium in Antwerpen bereits Ende der Siebzigerjahre mit Computerkunst experimentiert. Ihre vom Kunstverein Hannover mit dem Museum Abteiberg Mönchengladbach kuratierte Ausstellung „What Would I Do in Orbit?“ ist ihre erste umfassende Retrospektive in Deutschland. Die in Antwerpen und Berlin lebende Künstlerin ist am Dienstag, 2. Mai, um 19 Uhr im Künstlergespräch mit Kunstvereinsdirektorin Kathleen Rahn im Kunstverein, Sophienstraße 2, zu erleben.
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