Kunst und Leben bei Anne-Mie van Kerckhoven: Alles in einem Schmelztiegel
Sehr eigensinnig – die Belgierin Anne-Mie van Kerckhoven mit ihren Mixed-Media-Werken in der Berliner Galerie Thumm.



review by Ingeborg Ruthe.
published on 11 Feb 2025 in Berliner Zeitung

Kunst und Leben bei Anne-Mie van Kerckhoven: Alles in einem Schmelztiegel

Sehr eigensinnig – die Belgierin Anne-Mie van Kerckhoven mit ihren Mixed-Media-Werken in der Berliner Galerie Thumm.

Anne-Mie van Kerckhoven: „The Abstract Wasn’t Sexually Stimulating“ (Ausschnitt), 2024, UV-Print auf Plexiglas

Anne-Mie van Kerckhoven: „The Abstract Wasn’t Sexually Stimulating“ (Ausschnitt), 2024, UV-Print auf Plexiglas - Anne-Mie Van Kerckhoven/VG Bildkunst 2025

AMVK in Versalien, wie die belgische Multimedia-Künstlerin Anne-Mie van Kerckhoven sich nennt, hat für diese Berliner Ausstellung bildlich gesprochen einen Stein ins Wasser geworfen. Die Wellenkreise und Überlagerungen (Interferenzen) berühren fast alles, was die zierliche, 73-jährige Blondine aus Antwerpen im Laufe ihres Künstlerinnendaseins gemacht hat. Irgendwie gerät alles in der Kreuzberger Ausstellungshalle in geistige und emotionale Bewegung: die Collagen, die Zeichnungen und Filmstrips, die Pin-up-Girls der Softpornos aus den 60er-Jahren, die ironischen Computeranimationen in Lichtkästen.

Van Kerckhoven hat, wie man sieht, mit ihrem couragiert eindringlichen Stil von Anfang an ihren eigensinnigen Weg im zeitgenössischen Kunstzirkus gefunden. Seit fünf Jahrzehnten erschafft sie ein Mixed-Media-Werk, einen wahren Schmelztiegel aus Kunst und Technologie – aus Alltag, Massenmedien, Comic, Philosophie, Feminismus, Cyperpunk (dystopische Richtung des Science-Fiction-Genres) – und neuerdings auch KI. Vermeintlich wahllos fügt sie, einst Mitglied der belgischen Underground-Szene der 1970er- und 1980er-Jahre, die mit ihren Arbeiten Begehren, Macht, Politik und Sexualität hinterfragte, Bilder, Materialien und Zeitbezüge zusammen.

Anne-Mie van Kerckhoven: „The Relation/Proportion of Things“, 2015, Mischtechnik auf PVC

Anne-Mie van Kerckhoven: „The Relation/Proportion of Things“, 2015, Mischtechnik auf PVC - Anne-Mie van Kerckhoven/VG Bildkunst 2025

Thematisch scheint alles grenzenlos: Da bezieht sie Gesetze der Thermodynamik ein und die Materialität von Kunststoffen. Hinzu kommen mathematische Anordnungen, Codes, Datenbanken, Gleichungen, Super-8-Filme, Fotos, sogar Faxe, Ablagesysteme, lexikalische Begriffe, Logarithmen, Schaltpläne und alle möglichen Formen von Systemen. Man hört fließende Soundtracks, als seien das Begleiter ihrer langen Kunst-Reise, und entdeckt Abbildungen von Maschinen, Mandalas.

Und mag einem beim eiligen Anschauen der Kopf schwirren – sobald man innehält, sich vertieft, offenbaren die Motive Inhalt, Form – und Logik. Die Künstlerin, offensichtlich mit einem Hirn ausgestattet, das alles Geschaute, Erlebte, Gehörte wie ein Filter destilliert, bezeichnet diesen Kontext als „selbstgeschaffene Ordnungssysteme“ – in sich logisch, zugleich aber auch für sie selber „rätselhaft“. Damit meint sie ihr Unterbewusstsein, auf das habe sie „naturgemäß keinen steuerbaren Zugriff“.

Anne-Mie van Kerckhoven: „Droomarbeid (Dreamwork)“, 1986

Anne-Mie van Kerckhoven: „Droomarbeid (Dreamwork)“, 1986 - Anne-Mie van Kerckhoven/VG Bildkunst 2025

Van Kerckhoven nennt ihre Kunst auch „persönliche Überlebensstrategie“ in einer Welt der verstörend „ewigen Wiederkunft des Gleichen“, in dieser „Endlosschleife“, wie Friedrich Nietzsche schrieb, die sich freilich jedweder Linearität widersetzt, ergo unberechenbar ist.

„AMVK Dudoute_Toaster_Absolu“, Galerie Barbara Thumm, Markgrafenstr. 68. Im Studio: „Johnny Miller: Drawing Cabinet“. Bis 7. März, Di–Sa 11–18 Uhr




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